Wasser, Turbinen und ein kühler Schoppen

In den Ferien war ich in Rheinfelden im Aargau. Warum? Nun ja, Rheinfelden war die erste Stadt, die von den Zähringern gegründet wurde; als Freiburgerin war ich ihr daher einen Besuch schuldig. Ausserdem ist die Stadt Sitz der Brauerei Feldschlösschen, die Cardinal übernommen hat… Auf meinen Ausflügen habe ich erfahren, welch wichtige Rolle diese Region für die schweizerische und europäische Energielandschaft spielt. Hier sind vier Geschichten, in denen Wasser, Strom und Bier dank einer guten Portion Zusammenarbeit und Mut schon lange Hand in Hand gehen.

Das Gold des Rheins 

Der Rhein ist zusammen mit der Rhone eine der beiden grössten Gebietseinheiten für die Wasserkrafterzeugung in Westeuropa, noch vor den alpinen Staudämmen. Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden auf dem Rhein schwimmende Mühlen betrieben, kleine Kraftwerke auf dem Wasser, die durch die Kraft der Strömungen angetrieben wurden. 

Der Gigant unter den Stromproduzenten erzeugt jährlich rund 30 TWh (Milliarden kWh) saubere, erneuerbare Energie für Millionen von Menschen; ein erheblicher Teil wird in der Schweiz im Abschnitt zwischen Schaffhausen und Basel produziert. Zur Erinnerung: Wasserkraft macht rund 59,5% der Stromerzeugung in der Schweiz aus. Direkt oberhalb des berühmten Rheinfalls wurde 1866 in Schaffhausen das erste Wasserkraftwerk am Rhein errichtet. Heute nutzen rund ein Dutzend Kraftwerke die 145 Höhenmeter zwischen Schaffhausen und Basel. 

Das 1898 errichtete Wasserkraftwerk Rheinfelden bei Basel war einer der Ausgangspunkte des europäischen Stromnetzes. Der zwischen 2003 und 2012 entstandene Neubau – der sich im Rahmen von Führungen erkunden lässt – verfügt über eine Leistung von 100 MW und erzeugt jährlich 600 Millionen Kilowattstunden. Der nahegelegene Ausstellungspavillon Kraftwerk 1898 zeigt die Beiträge eines visionären Duos, das das entstehende europäische Stromnetz geprägt hat. Die Wanderung führt den Rhein entlang, der sich mal wild, mal gezähmt präsentiert. Funfact: Die deutsch-schweizerische Grenze lässt sich zu Fuss über den Rhein überqueren, zum Beispiel in Laufenburg oder Rheinfelden, den beiden grössten Flusskraftwerken. 

Dolivo und Rathenau, ein visionäres Duo

Ein entscheidendes Zusammentreffen zweier Ingenieure legte den Grundstein für die moderne Elektrotechnik, die wir bis heute nutzen. 

Einer der beiden ist Michail Dolivo-Dobrovolski. Wahrscheinlich kennen Sie Nikola Tesla. Aber wussten Sie, dass Dolivo neben Tesla und Galileo Ferraris einer der Wegbereiter des Drehstroms ist? Er erfand den ersten Elektromotor und entwickelte den Drehstromgenerator, der bis heute im Einsatz ist. Mikhail Dolivo-Dobrovolski war russisch-polnischer Abstammung und begann sein Studium am Polytechnischen Institut in Riga, von dem er wegen Teilnahme an einem Studentenstreik verwiesen wurde. Er setzte sein Studium in Deutschland an der Technischen Hochschule Darmstadt fort, wo er Maschinenbau und Elektrotechnik studierte. 1887 wurde er von Emil Rathenau, unserem zweiten Ingenieur, eingestellt. Emil Rathenau, der an der ETH Zürich ausgebildet wurde, ist Gründer und Direktor der AEG, die später zu einem der grössten deutschen Elektrokonzerne werden sollte. Zudem ist er treibende Kraft beim Bau des alten Kraftwerks Rheinfelden. 

Dolivo-Dobrovolski nutzt die Teilnahme der AEG an der Internationalen Elektrotechnischen Ausstellung 1891 in Frankfurt am Main, um die Möglichkeiten der Stromübertragung über grosse Entfernungen aufzuzeigen. Der im Wärmekraftwerk Lauffen am Neckar produzierte Strom wird über eine Strecke von 175 km über die erste Hochspannungsleitung geleitet und für den künstlichen Wasserfall und die Ausstellungshalle (1000 Glühbirnen) genutzt. Eine Meisterleistung, die die Industrie revolutionierte. Von nun an gilt die Frage der Stromübertragung über weite Entfernungen in Deutschland als endgültig gelöst. Eine Schweizer Anekdote: Um die Messe mit elektrischer Energie zu versorgen, wurde der Generator der Schweizer Maschinenfabrik Oerlikon über einen künstlichen Wasserfall gespeist!

Dieser öffentliche Erfolg markiert den Beginn der allgemeinen Elektrifizierung des Deutschen Kaiserreiches durch Wechselstrom (anders als in den USA) und bildet die Grundlage für die künftigen Erfolge von Rathenau und der AEG. 1905 erwirbt Dolivo-Dobrovolski das Schweizer Bürgerrecht und setzt seine Forschung an der Ecole polytechnique de Lausanne fort. Seine Arbeit in der Schweiz stärkte die Führungsrolle des Landes im Bereich Elektrotechnik. 

Der Stern von Laufenburg

Er ist über 67 Jahre alt und nicht bereit für den Ruhestand. Der Stern von Laufenburg im Fricktal ist mehr als nur eine Stromschaltanlage. Die 1958 eingeweihte Anlage markierte einen entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte der Elektrizität in Europa. Erstmals wurden die Stromnetze Deutschlands, Frankreichs und der Schweiz in Laufenburg auf der 220-Kilovolt-Spannungsebene (Stromübertragung über weite Entfernungen) – statt 25 Kilovolt (lokale Verteilung) – zusammengeschaltet. Aus dem Stern von Laufenburg entstand das europäische Stromnetz. 

 

réseau électrique

 

Die Idee, einen Stromverbund zwischen mehreren europäischen Ländern zu schaffen, war zur damaligen Zeit revolutionär. Ingenieure und politische Entscheidungsträger hatten viele technische und diplomatische Herausforderungen zu meistern, um dieses Projekt zu realisieren. Durch diesen Verbund wurde ein grenzüberschreitender Strommarkt geschaffen und damit die Grundlage für das moderne europäische Stromnetz gelegt. Zudem führte der Stern von Laufenburg zu einer beispiellosen Netzstabilität und damit zu einer höheren Versorgungssicherheit für die Schweiz und ganz Mitteleuropa. 

Nach der Besichtigung dieser beeindruckenden Schaltanlage kann die Region Laufenburg erkundet werden, die mit historischen Führungen und Flussfahrten auf dem Rhein lockt. Die beiden durch den Rhein getrennten Schwesterstädte Laufenburg veranstalten grenzüberschreitende Festivals und Audio-Führungen zur Geschichte dieser mittelalterlichen Städte.

Römisches Wasser

Meine letzte Geschichte führt in die Vergangenheit. Zurück aus Rheinfelden oder Laufenburg lohnt sich ein Blick nach Augusta Raurica, heute Augst. Die Römer sind bekannt für ihre Taten beim Bau von Wasserversorgungssystemen. Das System von Augusta Raurica ermöglichte es, das Wasser aus der Ergolz in Liestal über eine 6,5 km lange gemauerte unterirdische Leitung in die Stadt zu leiten (fast so lang wie der künftige 9 km lange unterirdische Stollen des Projekts Schiffenen-Murten!). Dieser Wasserzulauf ermöglichte das Brauen einer schmackhaften Cervoise, der Vorläuferin des Bieres. Und wer hätte es gedacht: In Augst befindet sich heute ein … Wasserkraftwerk!